Władysław Bartoszewski – ein Mensch der Versöhnung

Wladyslaw Bartoszewski ist am 24. April im Alter von 93 Jahren verstorben. Bartoszewski war zweimal Außenminister der Republik Polen (1995 und 2000-2001), Senator und seit acht Jahren Sonderbeauftragter der Regierung für den deutsch-polnischen Dialog. Er war auch Schirmherr unserer Internetseite, die sich jetzt hauptsächlich dem Energiedialog zwischen Deutschland und Polen widmet. 

 

 

Władysław Bartoszewski war Vertreter der Generation Kolumbus[1], Sohn einer Intellektuellen-Familie, der zu Zeiten der Zweiten Polnischen Republik im Geiste des Patriotismus und der Opferbereitschaft für ein freies Polen aufgewachsen war. Diese Erziehung spiegelte sich in seinem Lebenslauf wieder. Sein Lebensweg begann als 17-jähriger Abiturient. Während der Belagerung Warschaus im September 1939 meldete er sich als Freiwilliger für den Zivilschutz der Hauptstadt und diente als „Träger“, transportierte also Verletzte. Diese unvergesslichen Septembertage bildeten den Ausgangspunkt für den Władysław Bartoszewski-Dienst: diesen beschrieb sein Freund Jeziorański, der berühmte Chef des Radiosenders Radio Freies Europa und „Kurier aus Warschau“ Jan Nowak, mit den kurzen Worten: Treue, Beständigkeit, Klarheit und Mut. „Treue den immer gleichen und unveränderlichen Grundsätzen und Zielen, Beständigkeit des Handelns und der Arbeit, welche nur durch Gefangennahme unterbrochen wurde, Klarheit, die keine Abweichungen, Zugeständnisse und Kompromisse kennt.“ Als Soldat der Polnischen Heimatarmee unterstützte er Sofia Kossak bei der Gründung und Tätigkeit des Rates für die Unterstützung der Juden, genannt „Żegota“. Er wurde vom Yad Vashem-Institut mit dem Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern “ bedacht. Als einer der ersten und jüngsten Auschwitz-Häftlinge konnte er jener Hölle entfliehen. Er war Presseredakteur des Polnischen Untergrundstaates und nahm am Warschauer Aufstand teil. Gleich nach dem Krieg pflegte er Verbindungen zur oppositionellen Zeitung „Gazeta Ludowa“ und war PSL-Mitglied unter Stanisław Mikołajczyk – die einzige Partei, der Bartoszewski je angehörte. Später war er mit der Krakauer Wochenzeitung „Tygodnik Powszechny” verbunden. Er war Gefangener der stalinistischen Geheimpolizei im Rakowiecka-Gefängnis und in Rawicz. Während des Kriegszustandes war er interniert. Zu Zeiten der Polnischen Volksrepublik richtete sich die Aufmerksamkeit auf Bartoszewskis Unerschütterlichkeit im Kampf und die Wahrheit über „Polska Walcząca“, die er unermüdlich und der Zensur zum Trotz in offizielle Publikationen zu schmuggeln versuchte. Um jene zu umgehen, nahm er bereits in den 1960er Jahren die konspirative und gefährliche Zusammenarbeit mit Radio Freies Europa in München auf. In Władysław Bartoszewskis Handeln spielten die deutsch-polnischen Beziehungen stets eine wichtige Rolle. Dieser Mensch, der die Grausamkeiten der Deutschen am eigenen Leib erlebt hatte, der Zeuge der größten deutschen Verbrechen am Höhepunkt des Holocaust geworden war, wurde in der Nachkriegszeit zum Wegbereiter der historischen Versöhnung mit Deutschland.  Seit dem Herbst 1945 arbeitete er mit der Hauptkommission zur Untersuchung der deutschen Verbrechen in Polen zusammen. In deren Verlag erschien seine erste größere dokumentarisch-historische Publikation „Öffentliche Hinrichtungen in Warschau von 1943 bis 1944“ als Anhang zu den durch die polnische Seite vorbereiteten Materialien für die Nürnberger Prozesse. In den 60er Jahren schloss sich Bartoszewski den Tätigkeiten des Kreises polnischer Katholiken für die Versöhnung mit Deutschland an. Er unternahm erste Studienreisen nach Österreich und in die BRD, bei denen er erste persönliche und institutionelle Kontakte in Köln, München und Hamburg aufnahm, u.a. zu Heinrich Böll, Klaus von Bismarck, Marion Gräfin Dönhoff und Rita Süssmuth. Diese Kontakte wurden intensiviert, als er im Kriegszustand, kurz nach seiner Freilassung aus der Internierung, ein Angebot des Bayrischen Ministeriums für Wissenschaft und Bildung annahm: er erhielt eine Gastprofessur des Freistaates Bayern am Eric Voegelin-Lehrstuhl des Politikwissenschaftlichen Institutes der Ludwig-Maximilian-Universität in München. Dort hielt er von 1983 bis 1984 zum ersten Mal in der Geschichte der Hochschule Seminare zum Thema Holocaust ab. Außerdem gab er Vorlesungen an der katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt sowie an der Universität Augsburg. Zu jener Zeit erschienen in Westdeutschland erste Publikationen und Bücher Bartoszewskis.

Seine oppositionellen Tätigkeiten gegen das kommunistische Regime sowie sein Einsatz für eine deutsch-polnische Versöhnung trafen bei den Intellektuellen der BRD auf Anerkennung. Im Oktober 1986 erhielt er während der Internationalen Buchmesse in Frankfurt am Main, im Beisein des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Die Lobansprache hielt der bayrische Kultusminister Prof. Hans Maier. Bartoszewski erhielt diesen Preis als dritter Pole nach Janusz Korczak und Leszek Kołakowski. Die PRL-Zensur verbot jegliche Information über die Preisverleihung in den öffentlichen polnischen Medien. Der Umsturz im Jahr 1989 und der Fall des Kommunismus ermöglichten Władysław Bartoszewski eine Rückkehr in den öffentlichen Dienst. Von 1990 bis 1995 war er polnischer Botschafter in Wien. Zwei Mal bekleidete er das Amt des Außenministers der Polnischen Republik, 1995 auf Empfehlung des Präsidenten Lech Wałęsa im Kabinett des Premierministers Józef Oleksy und von 2000 bis 2001 in der Regierung Jerzy Burzek. Von 1997 bis 2001 war er Senatsmitglied der vierten Legislaturperiode. Am 20. November 2007 wurde er von Premierminister Donald Tusk zum Staatssekretär im Ministerrat und zum Beauftragten des Ministerpräsidenten für den internationalen Dialog berufen. Dieses Amt erfüllte er bis zu seinem Tod.

Der Höhepunkt im Lebenslauf des Władysław Bartoszewski im Zusammenhang mit den deutsch-polnischen Beziehungen war seine berühmte Rede am 28. April 1995 im Rahmen der Feierlichkeiten zum 50-jährigen Jubiläum der Beendigung des zweiten Weltkrieges während einer Sondersitzung des Bundestages und Bundesrates in Bonn. Als erster Pole im Bundestag sprach er denkwürdige Worte, wie um seine Tätigkeiten für die deutsch-polnische Verständigung zusammenzufassen: „Die gemeinsame Geschichte Polens und Deutschlands ist eine schwierige Geschichte. Wir müssen die durch Misstrauen, Verachtung, Feindseligkeit und Krieg verlorene Zeit so schnell wie möglich aufholen. So verstehe ich die Mission des heutigen, demokratischen Polens – seiner Regierung und meine eigene – im Bezug auf Deutschland.“ In einem seiner Bücher, das sowohl in Polen als auch in Deutschland herausgegeben wurde, schrieb Bartoszewski: „In diesen meinen Träumen sehe ich unsere Beziehungen als solche, in denen das Wort Pole bei Deutschen nichts anderes hervorruft, als wenn man sagt: Schau mal, ein Holländer, Schwede, Brite, Franzose. Nur so viel. Und wenn man in Polen Deutscher sagt, müsste dies nichts anderes bedeuten, als Bewohner eines hochentwickelten Industrielandes. Polen und Deutsche wären füreinander: komplett normale Leute.“

Auch ein Europa ohne Grenzen und die Mitgliedschaft Polens in der Europäischen Union krönten den Lebensweg Władysław Bartoszewskis.

Viele Male begrüßten wir Minister Bartoszewski in der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit. 2002, anlässlich seines 80. Geburtstages, finanzierte die Stiftung die Herausgabe eines Gedenkbuches mit dem Titel „Wahrheit und Versöhnung“. Darin enthalten waren Erinnerungen an den Jubilar – u.a. aus der Feder von Größen wie Jan Nowak-Jeziorański, Jaen Marie Kardinal Lustiger, Erhard Busek, Karl Kardinal Lehmann, Stanisław Lem, Franciszek Kardinal Macharski, Szewach Weiss, Erzbischof Józef Życiński, Zbigniew Brzeziński, Krzysztof Skubiszewski und Rita Süssmuth. Im Mai feiert der Film „Erzählungen über Żegota“, den die Stiftung kofinanziert hat, Premiere. Es ist der letzte Dokumentarfilm, an dem Bartoszewski mitgewirkt hat.

 Professor Krzysztof Miszczak, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der SdpZ, war viele Jahre lang Direktor des Kabinetts von Minister Bartoszewski – er erinnerte sich an seinen Vorgesetzen am 25. April bei Radio RMF FM mit den folgenden Worten:

„Er war ein großartiger Chef. Am meisten habe ich ihn dafür bewundert, dass er einfach Mensch war. Er mochte die Leute. Er wusste, dass sie Schwächen haben, doch der Mensch besteht sowohl aus Schwächen, als auch aus Stärken. Die Stärken sind die Elemente, die die Leute zeigen, weil sie besser sein wollen – ihre Schwächen hingegen verstecken sie. Aber er bewunderte die Menschen sowohl für das eine, wie auch für das andere. Außerdem hat er sehr Vielen geholfen. Das ganze Team, das ich unter dem Herrn Minister geleitet habe, er hat mit allen zusammengearbeitet, mit allen gesprochen. Er hat alles gelesen, was seine Angestellten geschrieben haben, er hat es wirklich sehr genau gelesen und verbessert. Er konnte mehrere Dinge gleichzeitig lesen, das ist unglaublich. Er hatte ein geniales Gedächtnis und war sehr gebildet. Einfach ein Gigant. Nicht nur in den deutsch-polnischen Beziehungen, denn die sind heutzutage europäische Beziehungen – er war so eine bekannte Persönlichkeit nicht nur in Europa. Ich erinnere mich an eine weniger bekannte Episode: Das deutsch-polnische Versöhnungsmodell fand in asiatischen Ländern Anwendung, z.B. haben die Volksrepublik China und Korea auf der einen und Japan auf der anderen Seite ein ähnliches Versöhnungsproblem wie Polen mit Deutschland. Er war in Japan und – stellen Sie sich das vor – er nahm an internationalen Dialogen teil. D.h., nicht an internationalen Dialogen beschränkt auf Europa, sondern das war ein globaler Dialog. Er war die letzte Person, die letzte Persönlichkeit, die solche Erfahrungen gemacht hat und eine solche Autorität, eine wahre Autorität war. Diese Autorität fehlt uns gerade jetzt, angesichts der Wirren Europas, in denen gewisse Werte, die er vertrat, ins Wanken geraten. Er war diese Instanz, dieses Fundament Europas, eines Europas der Zukunft.  Darum ist es wirklich bedauerlich, dass er nicht mehr unter uns ist.“

In den allgemeinen Nachrichten auf TVP 1 sagte Prof. Miszczak: „Für Bartoszewski waren die Deutschen nicht ein Volk von Tätern oder Folterknechten, sondern ein Volk, das in einer bestimmten Epoche verloren war. Er wollte ihnen helfen und konnte das nur durch seine unglaubliche Biografie und die Offenheit zum Dialog tun. Er hat diesen Dialog mit Deutschland nicht gefürchtet.“

Noch vor wenigen Tagen hielt Professor Bartoszewski eine Rede anlässlich des 72. Jahrestages des Warschauer Ghetto-Aufstandes.

 

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