Rede des Botschafters Prof. Dr. Andrzej Przyłębski

anlässlich des Jubiläums der DPG Sachsen (Dresden, 10. Juni 2017)
 

Sehr verehrter Herr Howald, Präsident der DPG Sachsen,

sehr geehrte Mitglieder und Freunde der DPG Sachsen,

sehr verehrte Damen und Herren,

 

herzlichen Dank für die Einladung zur heutigen Veranstaltung. Das Jubiläum des 25-jährigen Bestehens der DPG in Sachsen ist ein deutlicher Hinweis auf das gegenseitige Interesse der beiden Länder und der beiden Kulturen. Es bietet auch die Gelegenheit, über das bisher Erreichte, aber auch die Aufgaben und Pläne dieser Organisation nachzudenken. Ich bin gespannt auf den Vortrag darüber, der Bestandteil der heutigen Veranstaltung ist.

 

Für Ihre bisherige Tätigkeit, die im Gedenkbuch dokumentiert wurde und auch auf der Internetseite der Gesellschaft zu sehen ist, gilt Ihnen mein aufrichtiger Dank. Ich bin sicher, dass Sie diese in Zukunft ebenso erfolgreich und enthusiastisch fortsetzen werden. Dem muss sich aber eine kurze Überlegung anschließen, die eine gewisse Sorge zum Ausdruck bringt. Denn mit dem letzten Regierungswechsel in Polen tun sich die meisten DPGs schwer. Ich nenne nur 2 Beispiele:

 

Hier das erste: Es gibt die Vierteljahrschrift „Polen und wir“, die von der DGP der Bundesrepublik Deutschland e.V. herausgegeben wird. Fast die Hälfte der neusten Ausgabe ist der Kritik der polnischen Regierung gewidmet, vor allem wegen der vermeintlichen Verletzung der Rechtstaatlichkeit. Die Veränderungen im polnischen Verfassungsgericht werden dort als Verletzung der grundlegenden Rechtsprinzipien dargestellt. Dabei zeichnet sich der Autor, ein emeritierter Berliner Richter, nicht durch Kenntnisse des polnischen Rechts aus, und erst recht nicht der polnischen Verfassung. Was seine Thesen noch mehr disqualifiziert, ist der Umstand, dass er den Ausgangspunkt des Streites um das Verfassungsgericht sorgfältig vermeidet: Die Wahl dreier Richter  - sozusagen auf Vorrat - durch die ehemalige Parlamentsmehrheit nämlich, die sehr wohl wusste, dass die drei ihr Amt erst in der neuen Legislaturperiode antreten würden. Dieser Schritt hatte einen versteckten Sinn, der aber sehr einfach zu entziffern war: Das Verfassungsgericht sollte alle wichtigen Reformen der neuen Regierung für verfassungswidrig erklären und sie dadurch verhindern. Die neue Sejm-Mehrheit hat dies schnell erkannt und dem mit juristisch korrekten Mitteln entgegengewirkt. Das können Sie mir glauben: Ich habe es detailliert studiert und aus nächster Nähe beobachten können. Die Partei „Recht und Gerechtigkeit“ hatte hier in allen drei Dimensionen recht: der politischen (dem Recht auf Durchführung der dem Volk versprochenen Reformen), der moralischen (der Bestrafung der auf frischer Tat ertappten Betrüger als Teil der Rückkehr zur ethischen Ordnung) und der juristischen (einer gewagten, aber sich im Rahmen der geltenden Gesetze haltenden Rechtsprechung).

 

Beispiel Nummer 2: Das Treffen der in der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bundesverband, also der Dachorganisation, organisierten DGPs in Danzig 2016. Im Programm dieser Veranstaltung, das ich, der polnische Botschafter, gleichzeitig mit dem Einladungsbrief von Herrn Nietan, Mitglied des Bundestages und Vorsitzendem der DPG Bundesverband e.V., erhielt, stand Folgendes: „Die Tagung findet statt in einem von der PiS-Mehrheit mit selbstherrlichen Zügen kompromisslos regierten Land. Wir kommen zusammen in der Stadt Gdansk/Danzig, einer der wenigen Großstädte Polens, die dem politischen Druck dieser Regierung standhält..

 

Dies versetzte mich in Staunen. Die Bevölkerung von Danzig wird zur Revolte gegen die demokratisch gewählte polnische Regierung aufgerufen. Man setzt darin Hoffnung auf eine Rückführung des Landes in den Stand, der vor den letzten Wahlen zu sehen war: eines ohnmächtigen Staates, der sich von seinen Aufgaben zurückzieht. Diese Revolte wird als gerechte Handlung der Zivilgesellschaft gedeutet. Die Rolle von Gdańsk in der Solidarność-Bewegung wird missbraucht.

 

Dass sich die DPGs auf eine Seite des politischen Streites in Polen, und zwar auf die völlig diskreditierte (wie jüngst durch die Exhumierungen der Opfer der Smolensk-Katastrophe) stellen würden, dies hatte ich, als neuer Botschafter Polens in Berlin, aber auch als jemand, der mehrere Jahre in der Bundesrepublik verbracht hat, wahrlich nicht erwartet. Ich weiß aber auch, dass nicht alle Mitglieder der lokalen deutsch-polnischen Gesellschaften mit diesem Konfrontationskurs einverstanden sind; neulich informierte mich z.B. eine junge Pianistin, die aktiv in einer süddeutschen DPG tätig war, dass sie wegen dieser Politisierung gerade aus der DPG ausgetreten ist.

 

Denn die Hauptaufgabe der DPGs ist meines Erachtens, die Kultur - und damit auch die politische Kultur - des Partnerlandes besser zu verstehen. Dialog wird in Deutschland oft gelobt, was aber einen authentischen Dialog voraussetzt, und das macht man sich meist nicht bewusst. Und es würde reichen, sich in die wunderbare, tiefgründige Dialogphilosophie des größten deutschen Denkers der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Hans-Georg Gadamer, zu vertiefen. Ein echter Dialog setzt die Bereitschaft voraus, eigene Prämissen in Frage zu stellen und sich der möglichen Wahrheit des Anderen zu öffnen, in der Hoffnung, damit einen neuen vertieften Verständnishorizont zu gewinnen. Eine Begegnung mit Polen, auch mit dem heutigen, realen Polen, kann auch als Chance verstanden werden, eine Chance für die eigene persönliche – existentielle und soziale - Entwicklung. Kurz und bunt gesagt: Es reicht nicht, sich der Ähnlichkeiten von Goethe und Mickiewicz, und zwar als Dichter, bewusst zu werden; es heißt eher, sich mit den wesentlichen Unterschieden zwischen dem Denken eines „Faust“ und dem eines „Pan Tadeusz“ auseinanderzusetzen. Erst damit erreicht man eine neue Denkperspektive auf das Leben, auf die Kultur, auf die europäische Geschichte.

 

Meine Damen und Herren,

Sie wissen vielleicht, dass ich als Universitätsprofessor meinen neuen Posten deshalb angenommen habe, weil ich mit der Wende in Polen sympathisiere. Ich werde Ihnen also jetzt weniger über die Schönheit der polnischen Dichtung – die außer Frage steht - oder der polnischen Landschaft erzählen, auch wenn die Einbeziehung der polnischen Sittlichkeit, unserer Alltagskultur, sogar des Sarmatismus, wozu ein bekannter Sachse, Friedrich Nietzsche, einlud, für das Verständnis der heutigen Ereignisse in Polen hilfreich sein könnte. Nein, ich werde Ihnen kurz berichten, was seit ca. 2 Jahren bei uns geschieht.

 

In der letzten Zeit höre ich oft Stimmen der Besorgnis vieler deutscher Bürger, vor allem Journalisten und Politikern, über das, was gerade in Polen vor sich geht. Ich empfinde das als großen Respekt gegenüber unserem Land, denn darin spiegelt sich das Interesse für Polen und die Anerkennung der wachsenden Bedeutung des Landes auf der Weltbühne wider. In Polen geht aber eigentlich nichts vor sich, was Grund zur Sorge sein könnte.

 

Das Land, das den Zerfall des osteuropäischen Kommunismus auslöste, verwirklicht endlich die Ideale der Solidarność-Bewegung, die der friedlichen, antikommunistischen Revolution von 1989 zugrunde lagen. Ohne die Solidarność gäbe es keinen Mauerfall – dies muss immer wieder betont werden. Die vorherigen Regierungen haben in den letzten 27 Jahren versucht, den Idealen der Solidarność-Revolution gerecht zu werden - mit ziemlich mäßigem Erfolg. Obwohl man einige positive Veränderungen beobachten konnte, bleibt doch der Gesamteindruck, dass Polen in dieser Zeit weniger erreicht hat, als dies im Polen der Zwischenkriegszeit der Fall war, einer schönen Zeit, die durch den Zweiten Weltkrieg brutal beendet wurde. Die sogenannte 3. Republik verliert im Vergleich mit der 2. Das ist auch der Hauptgrund, warum die Mehrheit der polnischen Bevölkerung den noch vor kurzem Regierenden die rote Karte zeigte und mit der Wahl der konservativen Koalition ein Zeichen gab, zu den fast vergessenen Zielen und Idealen zurückzukehren.

 

In den Wahlen vor fast zwei Jahren ist diese konservative Koalition, mit der Partei Recht und Gerechtigkeit an der Spitze, an die Macht gekommen. Und zwar mit einem Reformprogramm, das den Erwartungen der Bevölkerung entgegenkam.  Da dieses Programm mit groβer Entschlossenheit verwirklicht wird – was in Polen nach 1989 ein Novum ist - erfreut sich die Regierung einer stabilen Unterstützung von circa 40 %, und dies trotz der unerhörten Angriffe der sogenannten „totalen Opposition“.

 

Diejenigen, die in diesem Reformprogramm lediglich „Populismus“ oder „katholischen Nationalismus“ sehen, sollten die Ereignisse, die in Polen stattfinden, ein wenig tiefer analysieren. Denn vielleicht sind sie ein wichtiges Zeichen für eine ernstzunehmende Neuausrichtung der Wertestruktur der ganzen abendländischen Zivilisation, die Polen so viel verdankt. Eine Neuausrichtung, die besonders nach dem Brexit bei der Reformierung der EU genau überdacht werden sollte. Denn sie betrifft möglicherweise nicht nur mein Land, die Republik Polen.

 

Die Notwendigkeit von Reformen der EU ist allen klar, lassen wir aber dieses Thema jetzt beiseite. Ich will vielmehr kurz darstellen, was in meinem Land wirklich los ist. Damit Sie, meine Damen und Herren, verstehen können, woher diese so stabile und starke Unterstützung der polnischen Bevölkerung für die jetzige Regierung kommt. Denn entgegen dem, was man oft glaubt, ist der Regierungswechsel nicht das Ergebnis eines Ressentiments bzw. eines Rachefeldzugs derer, die am Erfolg der Transformation nicht teilhaben konnten. Er ist vielmehr das Ergebnis davon, dass auf die Stimmen und Wünsche breiter Schichten der polnischen Gesellschaft, auf ihre authentischen - und nicht imaginären, ideologisch aufgedrängten – Bedürfnisse gehört wurde, ein Ergebnis der daraufhin erarbeiteten Reformpläne und ihrer konsequenten Umsetzung unter ziemlich ungünstigen internen und externen Bedingungen.

 

Die erste der vor den Wahlen versprochenen Reformen beruhte auf einem finanziellen Zuschuss für Familien in Höhe von 500 PLN für das zweite und jedes weitere Kind. Diese Reform hat sehr rasch etwa 1 Million Familien aus der Armut geholt. Innerhalb unerwartet schneller Zeit hat sie sich auch positiv auf die Demographie ausgewirkt und via Konsum die Produktion erhöht, also die Wirtschaft belebt. Die Frauen in Polen gebären plötzlich so viele Kinder wie die Polinnen in Großbritannien – Polens Trend der Entvölkerung wird also erfolgreich gegengesteuert.

 

Gerade jetzt wird eine Reform eingeleitet, durch die neue, hochwertige und kostengünstige Wohnungen für tausende junge Familien entstehen werden, Familien, die aufgrund ihres niedrigen Einkommens keinen Bankkredit bekommen können. Die Reform des Justizsystems, das die Bürger von allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens als das am schlechtesten funktionierende bewerteten, ist im Gange. Angefangen vom Verfassungsgericht über den Obersten Gerichtshof und die Staatsanwaltschaft, bis hin zum Landesjustizrat, der Ordentlichen Gerichtsbarkeit und den Strafvollzugsanstalten. Auch die Polizei und der Geheimdienst werden reformiert, was dazu führt, dass sich der normale Bürger besser beschützt fühlt. Alle Umfragen beweisen dies. Die Armee wurde mit einem Schlag aus einer tiefen Krise gerissen. Polen ist eines der vier Länder, dessen Ausgaben für das Militär über 2% des BIP liegen und somit die Verpflichtungen innerhalb von  NATO erfüllen. Die Polnische Armee, und allen voran die F-16 der Luftstreitkräfte, stabilisiert die ganze Region und gibt u.a. dem Baltikum die Sicherheit, die zu einer normalen Entwicklung nötig ist.

 

Das Schulsystem wird ebenfalls reformiert, weil es sich in einem großen Tief befindet. Die falsche Schulstruktur, die eine Menge sehr schlechter, für das Studium fast ungeeigneter Abiturienten „produzierte“, wird durch eine neue ersetzt. Fast 80% der Eltern von Kindern im Alter von sechs Jahren nutzt die Möglichkeit, sie erst mit sieben in die Grundschule zu schicken. Es ist also ein weiterer Freiheitsbereich entstanden, gegen den ideologisch motivierten Zwang des vorherigen Systems. Bald werden auch das Hochschulsystem, die Medien und das Gesundheitswesen reformiert. Eine ähnliche Freiheit wird es bald im Rentensystem geben, das dem deutschen Muster folgt. Usw., usf. All das als Beraubung der Freiheit beziehungsweise als Vernichtung der Demokratie zu deuten, ist eine Schande. Eine Demokratie, die den ideologischen Visionen einer Gruppe entspricht, die sich selbst zur „geistigen Elite“ ernennt, ist keine Demokratie.

 

Und das sind nur ausgewählte Beispiele. An der Spitze des Entwicklungsministeriums haben wir einen erfolgreichen und patriotisch gesinnten Ex-Banker, der ein Wirtschaftsprogramm ausgearbeitet hat, das schon jetzt Früchte trägt. Es ist auf Innovation, nicht auf billige Arbeitskraft ausgerichtet und soll Polen in eine andere „Wirtschaftsliga“ bringen. Unser größtes wirtschaftliches Partnerland bleibt unverändert Deutschland. Wir würden uns freuen, wenn dies auch für die politische Partnerschaft gelten könnte. Die Arbeitslosenquote ist auf 7% gesunken und ist die niedrigste seit 1989. Die Einkommen wachsen ständig. Das Wachstum wird gerechter verteilt. Wir haben eine stabile Währung, und wir warten mit der Euro-Einführung auf einen sowohl für unsere Exporteure als auch für unsere Konsumenten günstigen Zeitpunkt. Laut den wichtigsten Ratingagenturen wird unser Wirtschaftswachstum dieses Jahr problemlos 3,5 % überschreiten. Stufenweise werden auch die Banken und die Medien repolonisiert, was man nicht mit ihrer Nationalisierung verwechseln darf (was leider sehr oft passiert).

 

Meine sehr verehrten Damen und Herren: Damit schließe ich diese kurze Schilderung der Situation in Polen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen nicht nur eine schöne Veranstaltung heute, sondern auch erfolgreiche Aktivitäten der DPG Sachsen in der Zukunft. Bleiben Sie Polen treu. Dem Polen von heute, denn ein anderes Polen wird es nicht geben.

 

Quelle