Außenminister Witold Waszczykowski

Waszczykowski: Darf ich ausnahmsweise dieses Gespräch beginnen?

 

SPIEGEL: Bitte.

 

Waszczykowski: Sind Sie eigentlich auch mit politischen Direktiven von Ihrem Chef in dieses Interview geschickt worden?

 

SPIEGEL: Nein, natürlich nicht. Warum fragen Sie das? Spielen Sie darauf an, dass gerade der Verlag Ringier Axel Springer die Journalisten der polnischen Konzerntochter per Rundschreiben angehalten haben soll, proeuropäisch zu berichten?

 

Waszczykowski: Ja, genau. Wie bewerten Sie das? Wir fragen uns nun, ob nicht alle deutschen Medien politische Anweisungen befolgen.

 

SPIEGEL: Wie stellen Sie sich das vor? Glauben Sie, dass jemand bei unserem Chefredakteur anruft und ihm Richtlinien zur Polen-Berichterstattung vorgibt?

 

Waszczykowski: Was der Verlag getan hat, ist ein klarer Fall von politischer Einmischung in die Angelegenheiten eines Nachbarlandes. Dabei wird uns doch, auch von Deutschland, seit anderthalb Jahren vorgeworfen, Einfluss auf unsere Presse zu nehmen. Nun scheinen wir den Beweis dafür zu haben, dass es andersherum ist.

 

SPIEGEL: Aber diese Anweisungen an die Kollegen kamen ja nicht aus der Politik, sondern von einem privaten Medienkonzern. Bei Ihnen versucht die Regierung Einfluss zu nehmen. Sie können aber sicher sein: Die folgenden Fragen sind meine Fragen.

 

Waszczykowski: Bitte fangen Sie an!

 

SPIEGEL: Gern. Was meinten Sie, als Sie unlängst sagten, die Polen müssten ihr Vertrauen in die EU "dramatisch absenken" und eine "negative Politik" machen?

 

Waszczykowski: Über viele Jahre hat man versucht, uns zu überzeugen, dass die EU ein Klub von Altruisten ist, dass es keine rivalisierenden Nationalinteressen mehr gebe. Spätestens seit dem Gipfel von vor zwei Wochen wissen wir, dass das nicht stimmt. Wir haben gelernt: Wir müssen unsere polnischen Interessen verteidigen. Uns ist klar, dass wir weniger Macht und wirtschaftliches Potenzial haben als Deutschland. Aber wir wollen, dass unsere Belange ernst genommen werden.

 

SPIEGEL: Wo wird denn gegen die Interessen Ihres Landes verstoßen?

 

Waszczykowski: Überall! Zum Beispiel in der Energiepolitik mit dem Bau der Ostseepipeline Nord Stream 2 zwischen Russland und Deutschland. Oder in der Klimaschutzpolitik: Die strengen CO2-Grenzwerte schaden der polnischen Wirtschaft sehr, da unsere Energiegewinnung auf Kohle basiert. Wir können uns nicht leisten, ein rückständiges Land mit frischer Luft zu werden. Wir brauchen beides: die Chance auf Wachstum und eine saubere Umwelt. Die EU hätte mildere Auflagen machen und so im Geiste der europäischen Solidarität handeln müssen.

 

SPIEGEL: Sie klingen enttäuscht. Das verwundert, denn Polen geht es doch gut, die Wirtschaft wächst, bis 2020 wird Ihr Land rund 80 Milliarden aus europäischen Strukturfonds erhalten haben. Es ist damit der größte Nutznießer der EU.

 

Waszczykowski: Und die Union ist der größte Nutznießer der Mitgliedschaft Polens! Wir sind ein Markt von fast 40 Millionen Menschen. Daran verdient ihr enorm viel Geld, allein die Deutschen haben für 55 Milliarden Euro Waren  nach Polen verkauft. Das Geld aus den Strukturfonds ist für uns eine Kompensation für die Öffnung unseres Marktes.

 

SPIEGEL: Aber am Ende profitiert Polen doch eindeutig davon: Es werden neue Straßen gebaut, Arbeitsplätze geschaffen, die Landwirtschaft wird gefördert.

 

Waszczykowski: Natürlich nutzen uns die Gelder. Aber wer baut denn diese Straßen? Westeuropäische Konzerne. 80 Cent von jedem Euro, der aus Brüssel kommt, fließen wieder zurück in den Westen.

 

SPIEGEL: Sie werfen der EU auch  Ungerechtigkeit vor, weil Ihr Landsmann Donald Tusk zum zweiten Mal zum Vorsitzenden des Europäischen Rats gewählt wurde – gegen den Widerstand Polens.

 

Waszczykowski: Wir drängen darauf, dass die Regeln der Union eingehalten werden. Doch auf dem Gipfel wurden die Spielregeln so geändert, wie es der Mehrheit gerade passte. Der Abstimmungsführer, Maltas Premier, ließ nicht einmal wirklich über Donald Tusk abstimmen. Er fragte einfach nur, wer gegen ihn sei. Und Schluss.

 

SPIEGEL: Die Abstimmung endete 27 zu 1. Glauben Sie denn, es wäre anders ausgegangen, wenn   förmlich nach Zustimmung und Enthaltungen gefragt worden wäre?

 

Waszczykowski: Das weiß ich nicht. Aber wissen Sie, wir haben vor 30 Jahren als Mitglied des Warschauer Pakts die Erfahrung gemacht, wie es ist, wenn in einem Bündnis die Regeln nicht eingehalten werden. Wir hatten gedacht, die EU agiere demokratisch und transparent. Doch dem ist nicht so. Zudem wurde bei der Wahl Tusks gegen den Grundsatz verstoßen, dass ein Kandidat für ein hohes EU-Amt die Zustimmung seines Landes haben muss.

 

SPIEGEL: Das ist lediglich ein informeller Grundsatz, der nirgends in den EU-Verträgen niedergeschrieben ist.

 

Waszczykowski: Aber dann könnte man beim nächsten Mal ja auch einen Mexikaner vorschlagen. Nirgends steht ausdrücklich geschrieben, dass der EURatspräsident Bürger der Union sein  muss. Viele kleinere Länder mussten schon erleben, dass ihre Interessen mit Füßen getreten wurden, das ist keine rein polnische Erfahrung. Die großen Länder üben gemeinsam mit einer Kaste Brüsseler Beamter sehr hohen Druck aus, wenn eine kleinere Nation sich dem Mainstream widersetzt. Und damit

haben wir ein Problem.

 

SPIEGEL: Was stört Sie eigentlich so an Donald Tusk?

 

Waszczykowski: Wir kritisieren, dass er sich in seiner ersten Amtszeit als Chef des Europäischen Rats sehr parteiisch verhalten hat. Er hat sich hier in Polen in die Innenpolitik eingemischt, war faktisch weiterhin Führer der Opposition. Zum Beispiel reiste er im Dezember nach Polen und kritisierte unsere Regierung.

 

SPIEGEL: Tusk sagte, Ihre Regierung verstoße gegen demokratische Regeln. Brüssel hat sogar ein Rechtsstaatlichkeitsverfahren angestrengt, denn Ihre Regierung hat das Verfassungsgericht entmachtet. Wie wollen Sie den Konflikt lösen?

 

Waszczykowski: Wieso wir? Wir haben im Februar unsere letzte Stellungnahme geschickt – und seitdem nichts gehört. Wir betrachten die Angelegenheit als abgeschlossen. Das Verfahren ist übrigens ein Beispiel europäischer Doppelmoral: Als unsere Vorgängerregierung angesichts der Wahlniederlage vor zwei Jahren anfing, das Verfassungsgericht vorzeitig neu zu besetzen – wo war da die Europäische Union? Die Liberalen haben versucht, das Gericht in ihrem Sinne zu dominieren, sodass es wie eine dritte Parlamentskammer gegen unsere Regierung hätte arbeiten können. Die Richter hätten jede unserer Entscheidungen kassieren können. Dagegen haben wir uns zur Wehr gesetzt.

 

SPIEGEL: Polen gilt bereits als "Problemkind" des Kontinents. Fürchten Sie nicht, Ihr Land in die Isolation zu führen?

 

Waszczykowski: Viele Jahre lang haben unsere Vorgängerregierungen so getan, als sei alles, was die Mehrheit in der EU will, automatisch auch in polnischem Interesse. Wir sind da anderer Meinung. Wir haben von den polnischen Wählern ein Mandat, uns für polnische Interessen einzusetzen – auch

innerhalb der EU. Uns als "Problemkind" zu bezeichnen ist paternalistisch und beleidigend. Ein Teil der politischen Klasse Europas spricht dem Rest das Existenzrecht ab. Das Konzept der liberalen Demokratie ist undemokratisch; das politische Spektrum rechts von der Mitte gilt da als böse, gefährlich, politisch unkorrekt und wird ausgegrenzt.

 

SPIEGEL: Die EU entwickelt sich immer deutlicher in Richtung eines Europas der zwei oder sogar mehr Geschwindigkeiten. Wo sehen Sie Polen dabei?

 

Waszczykowski: Wir rufen Europa zur Einigkeit auf, wir wollen keine weiteren Teilungen. Zwei, vielleicht sogar viele Geschwindigkeiten – das sind Rezepte, die Europa zerreißen. Wir sind an einem entscheidenden Punkt angekommen: Bleiben wir zusammen, oder geht jeder seiner Wege? Das müsst ihr euch in einigen westeuropäischen Hauptstädten fragen. Im Ergebnis würden unterschiedliche Geschwindigkeiten dazu führen, dass sich eine Führungsgruppe herausbildet, die die anderen Mitglieder beherrscht.

 

SPIEGEL: Ihre Regierung fordert Reformen der EU. Wie sollen die aussehen?

 

Waszczykowski: Wir können uns bei Grenzschutz oder der Verteidigung noch viel mehr Zusammenarbeit vorstellen. Aber wir glauben, dass man über die Kompetenzen der europäischen Institutionen nachdenken muss. Der Europäische Rat etwa besteht aus den Vertretern gewählter Regierungen, er hat also eine hohe demokratische Legitimation. Er sollte daher die meiste Macht haben. Die Kommission dagegen setzt sich nicht aus gewählten Vertretern zusammen, sondern aus Entsandten der Mitgliedsländer. Das sind Beamte. Die Kommission sollte deshalb nicht das Recht haben, die Mitgliedsländer zu überwachen, so wie es uns mit dem Rechtsstaatsverfahren passiert ist. Die Kommission sollte lediglich Direktiven des Rats ausführen können und keine eigenen politischen Ambitionen haben.

 

SPIEGEL: Was Sie fordern, ist ein Europa, in dem die Nationalstaaten mehr Bedeutung bekommen. Liegt das auch daran, dass Sie gerade mit Ihrem wichtigsten Bündnispartner Deutschland fremdeln? Die Wahl von Donald Tusk haben Sie als eine deutsche Verschwörung bezeichnet.

 

Waszczykowski: Wenige Stunden vor dem Gipfel sagte Bundeskanzlerin Merkel im Bundestag, sie freue sich, dass Tusk als EU-Ratspräsident wiedergewählt werde.

 

SPIEGEL: Na und? Die Mehrheitsverhältnisse waren doch klar.

 

Waszczykowski: Wir glauben, dass  Angela Merkel damit die politische Direktive an die anderen Mitgliedsländer  ausgegeben hat: Ich will, dass Tusk gewinnt.

 

SPIEGEL: Und Sie meinen, das würden sich die anderen 26 Mitglieder gefallen lassen?

 

Waszczykowski: So sieht es für uns aus, ja. Was unser Verhältnis zu Deutschland angeht: Wir haben Differenzen bei der Energiepolitik und sind auch nicht der Auffassung, dass Deutschland den anderen Ländern der EU diktieren darf, wie viele Flüchtlinge sie aufnehmen. Gemeinsamkeiten sehen

wir dafür bei der Verteidigungspolitik. Natürlich sind die Deutschen gleichzeitig ein wichtiger Partner für uns. Über 100 Milliarden Euro beträgt das jährliche Handelsvolumen zwischen unseren Ländern; das ist viel mehr als zwischen Deutschland und Russland. Ich sage daher immer zu deutschen Kollegen: Überlegt euch, mit wem ihr euch gut stellt, mit den Russen oder mit denen, mit denen ihr wirtschaftlich aufs Engste verflochten seid. Es gibt eine Vielfalt an Themen, die uns verbinden, aber wir geben gleichzeitig offen zu, dass es auch Themen gibt, die noch geklärt werden müssen.

 

SPIEGEL: Da klingt der alte polnische Vorwurf mit, Berlin sei zu nachgiebig gegenüber Moskau. Müssen Sie nicht eher fürchten, der neue US-Präsident Donald Trump könnte einen Pakt mit Russland eingehen?

 

Waszczykowski: Trump hat sehr viele – vorsichtig ausgedrückt – eigenwillige Dinge im Wahlkampf gesagt. Aber wir glauben, dass er seinen Nato-Verpflichtungen nachkommen wird. In Polen sind US-Soldaten stationiert. Wir werden sehen, wie Trump sich zu Russland verhält. Wir sind natürlich für einen Dialog mit Moskau, aber leider sind wir sehr pessimistisch, dass das etwas bringt. Unter Putin bleibt dieser Staat rückständig, imperialistisch und korrupt.

 

SPIEGEL: Ihre Partei "Recht und Gerechtigkeit" wird oft in einem Atemzug mit rechtspopulistischen Parteien wie der deutschen AfD genannt. Stört Sie das?

 

Waszczykowski: Für die AfD interessiere ich mich nicht. Wir verstehen uns als konservativ-patriotische Partei, die sich um soziale Belange kümmert, die sich für christliche Werte und historische

Traditionen einsetzt. Wir lassen uns nicht als eindeutig rechts oder links einordnen. Auf jeden Fall sind wir Demokraten und lehnen chauvinistisches Denken ab.

 

SPIEGEL: Am Samstag begeht die EU den 60. Jahrestag der Römischen Verträge, ihres Gründungsdokuments. Wird Polen die Abschlusserklärung unterschreiben?

 

Waszczykowski: Wir verhandeln darüber, der Entwurf sagt uns bisher zu. Er würdigt die Erfolge der europäischen Einigung. Es kam nach 1945 zu keinem Krieg in Europa, stattdessen arbeiten die

Staaten dieses Kontinents so eng zusammen wie nie zuvor. Das ist ein Zivilisationssprung.

 

 

Interview: Jan Puhl

 

Quelle