Diskussion von Historikern über die „Aktion Reinhardt”

An der Humboldt-Universität in Berlin fand am Montag, den 10. Juli eine von der polnischen Botschaft veranstaltete Diskussion über die Vernichtungspolitik des Dritten Reichs auf dem Gebiet des Generalgouvernements statt, an der Prof. Bogdan Musiał, Prof. Stephan Lehnstaedt und Prof. Jörg Baberowski teilnahmen.
 

Der Botschafter der Republik Polen in Berlin Prof. Andrzej Przyłębski begrüßte die Diskussionsteilnehmer, wobei er die Bedeutung des historischen Gedächtnisses hervorhob und über die Notwendigkeit der historischen Bildung sprach, zumal im Hinblick auf die deutsche Besatzungszeit in Polen während des Zweiten Weltkrieges.

 

„Anfangs war sich niemand über die Massenverbrechen an der jüdischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten im Klaren. Die Nazis waren von der Obsession der Vernichtung besessen, und die ‚Aktion Reinhardt’ bildete den Kern der deutschen Vernichtungspolitik“, sagte Prof. Baberowski in seiner Einführung in die Diskussion. „Die Täter waren sich vollauf bewusst über das Ausmaß ihrer Verbrechen“, unterstrich er. Prof. Baberowski betonte, dass die Deutschen zwischen Frühjahr 1942 und Frühjahr 1943 in drei deutschen Vernichtungslagern im besetzten Polen – Treblinka, Sobibór und Bełżec – fast zwei Millionen Juden ermordeten.

 

Der Holocaust-Forscher Prof. Stephan Lehnstaedt wies darauf hin, dass diese Aktion sich nicht auf die Massentötung der Opfer in den genannten drei Lagern beschränkte, sondern auch Massenerschießungen in den 400 damals existierenden Ghettos umfasste.

 

Die Teilnehmer des Panels machten darauf aufmerksam, dass dieser Völkermord, der eine vorher nicht gekannte Dimension hatte, von einer kleinen Gruppe von Tätern ausgeführt wurde. In jedem der drei Vernichtungslager zählte das deutsche Personal nicht mehr als 20 Personen, die durch sogenannte Trawniki-Männer – sowjetische Kriegsgefangene, die sich für eine Zusammenarbeit mit den Deutschen entschieden – verstärkt wurden.

 

Prof. Bogdan Musiał, Historiker beim Institut für Nationales Gedenken, erläuterte, die Zahl der die Lager betreibenden SS-Funktionäre sei so klein gewesen, weil sich das Dritte Reich auf die deutsche Zivilverwaltung habe stützen können.

 

 

Zur Frage nach den Gründen für das mangelnde Wissen über die Vernichtungslager erinnerte Prof. Lehnstaedt daran, dass in Auschwitz 12.000 Häftlinge, in Treblinka, Sobibór und Bełżec dagegen weniger als 150 überlebt hätten. „Die Aufmerksamkeit der Zeugen und der Behörden konzentrierte sich auf Auschwitz. Es gab weder in Polen, noch weltweit eine Lobby, die die Erinnerung an Treblinka oder Sobibór wachgehalten hätten“, erklärte er.

 

Die Diskussionsteilnehmer stimmten in der Beurteilung überein, dass die deutsche Justiz bei der Strafverfolgung der Täter dieser Verbrechen völlig versagt hat. Sofern es überhaupt zu Prozessen kam, endeten sie mit dem Freispruch der Angeklagten aus Mangel an Beweisen. Prof. Musiał betonte, dass die polnischen Gerichte – im Gegensatz zu den deutschen – Kriegsverbrecher, die an sie überstellt wurden, darunter den Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß, beispielhaft zur Rechenschaft gezogen hätten. Der polnische Historiker stellte die These auf, dass einige Bestimmungen des 1949 verabschiedeten westdeutschen Grundgesetzes, wie das Verbot der Auslieferung eigener Bürger an andere Staaten und die Abschaffung der Todesstrafe, der mangelnden politischen Bereitschaft zur juristischen Aufarbeitung entsprangen.

 

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