Polnischer Volkssport: Ab in die Pilze

Wenn im Spätsommer die Pilzsaison beginnt, strömen die Polen in Scharen zum Sammeln in die Wälder. Aber auch immer mehr Touristen nehmen an dieser gesellig-kulinarischen Kultur teil. So etwa bei den europäsichen Pilzsammelmeisterschaften  im niederschlesischen Ort Węgliniec (Kohlfurt) oder bei Pilztouren auf einem Ferienbauernhof.


Im Spätsommer und Herbst bevölkern private Sammler die Ränder der polnischen Landstraßen, um ihre Beeren und Pilze anzubieten. Wer sich nicht auskennt oder nicht viel Zeit zum Sammeln hat, ist dort zumeist gut und günstig bedient. Der Gang in den Wald verspricht hingegen ein ganz besonderes Naturerlebnis. „Grzybobranie“ heißt die Tradition des Pilzsammelns auf Polnisch. Sie ist tief in der polnischen Kultur verankert und hat neben dem kulinarischen vor allem auch einen geselligen Aspekt. Groß und Klein, Jung und Alt gehen gemeinsam auf die Pirsch, altes Wissen wird weitergegeben und der Fund besonders großer und schöner Exemplare mit viel Anerkennung belohnt.


Im ganzen Land rufen Naturfreundegesellschaften, Tourismusorganisationen und Gemeindeverwaltungen zu Wettbewerben im Pilzpflücken auf, veranstalten Pilzfeste oder gemeinsame Kochaktionen. Zu den bekanntesten und größten Veranstaltungen gehört das „Święto Grzybów“, das Pilzfestival an der deutsch-polnischen Grenze in Węgliniec (Kohlfurt). Die niederschlesische Kleinstadt sieht sich als Hauptstadt des „polnischen Pilzbeckens“. Rund 90 Prozent der Gemeinde sind mit Wald bedeckt, frische Luft und geringe Umweltverschmutzung bieten optimale Bedingungen für Pilzfreunde. Gepflückt wird in den örtlichen Wäldern häufig bis in den November hinein.


Verbunden ist das Festival mit den Europäischen Pilzsammelmeisterschaften, die in diesem Jahr bereits zum 19. Mal ausgetragen werden. Eine unabhängige Jury bewertet die Pilze nach Größe, Gewicht und Ästhetik. Sie rekrutiert sich aus Angehörigen der Polnischen Vereinigung der Pilzforscher mit Sitz in Kraków (Krakau). An dem Wettbewerb beteiligen sich neben Sammlern aus allen Teilen Polens auch Pilzfreunde aus dem Nachbarland Deutschland und anderen Ländern Europas. Wer sich nicht an die Naturschutzregeln hält, geschützte oder giftige Pilze pflückt, wird sofort disqualifiziert.


Zum Festival „Święto Grzybów“ gehören Konzerte polnischer und ausländischer Bands, ein Pilzkochwettbewerb, verschiedene Workshops rund um Naturthemen, Spiele für alle Altersgruppen sowie verschiedenen Vorführungen. Darüber hinaus gibt es einen Holzfällerwettbewerb, Kunst- und naturkundliche Ausstellungen, einen Markt mit regionalen Produkten sowie Kunstworkshops für Kinder. Das diesjährige Pilzfestival findet am Wochenende vom 12. bis 13. September statt.


Zahlreiche polnische Ferienbauernhöfe, Gärtnereien und ländliche Pensionen bieten nicht nur saisonale Pilzgerichte an, sondern organisieren für ihre Gäste auch pilzkundliche Waldgänge mit anschließender Verarbeitung der gesammelten Trophäen. Zu ihnen gehört der vielfach ausgezeichnete Hof „Trzy Świerki“ (Drei Fichten) bei Gołdap (Goldapp) im Nordosten von Masuren. Die Besitzerin Sława Tarasiewicz feiert in diesem Jahr 15-jähriges Hofjubiläum und geht im Herbst mit ihren Gästen auch schon einmal persönlich „in die Pilze“. „In der Rominter Heide sammeln wir vor allem Pfifferlinge, Steinpilze und Reizker“, erklärt die gelernte Pädagogin, die auch Botschafterin der polnischen Geschäftsfrauen ist.


Für Gruppen mit bis zu sieben Personen veranstaltet sie Pilzausflüge in die Umgebung. Oft werden die Pilze gleich danach verarbeitet, zu Steinpilzsuppe beispielsweise oder als Füllung für Pierogi. „Wer möchte, kann sie aber auch auf speziellen Gestellen trocknen lassen oder in Gläser einlegen“, erklärt Sława Tarasiewicz. In der kleinen hauseigenen Bibliothek können sich ihre Gäste zuvor in die Pilzkunde und Regionalgeschichte einlesen. Nachschlagewerke und Ratgeber gibt es dort auch in deutscher Sprache. Zudem spricht die findige Unternehmerin gutes Deutsch und ist passionierte Pilzsammlerin, kann also auch selbst Ratschläge geben. Ihre eigenen Sammelerfolge und vor allem die ihrer Gäste präsentiert sie stolz auf der Facebookseite von Trzy Świerki.


Naturnahe Kulinarik und Tourismus verbinden auch die Höfe auf der Touristenroute des „nach Kräutern duftenden Dorfes“ in Małopolska (Kleinpolen) im Süden des Landes. Gäste bekommen dort nicht nur einen Einblick in die Verwendung von Kräutern in der Küche. Viele der Höfe werben im Herbst auch mit speziellen Angeboten für Pilzsammler. Interessant ist das Anwesen „Villa Akiko“ in Harkłówa unweit des Pieniny-Gebirges. Die Japanerin Miwa Akiko verbindet dort die Küche und Tradition ihrer asiatischen Heimat mit der polnischen Umgebung. So kultiviert sie beispielsweise japanische Pilze und verarbeitet sie zu Speisen für ihre Gäste.


Zu den Gebieten mit den größten Pilzvorkommen in Polen gehört die Puszcza Białowieska, der Urwald von Białowieża an der belarussischen Grenze. Ein Teil des letzten europäischen Tieflandurwaldes steht als Nationalpark und UNESCO-Biosphärenreservat unter besonderen Schutz. In den umliegenden Gebieten ist das Pilzsammeln aber in Einklang mit dem Regeln der Forstverwaltung erlaubt. Kleinere Ferienbauernhöfe und ländliche Pensionen verfügen über ein entsprechendes Angebot. Die Touristeninformation in Hajnówka vermittelt auf Anfrage auch Guides für eine Pilz-Exkursion. Im Herbst kann man in den Restaurants der Region Pilzspezialitäten kosten, ohne die die traditionelle polnische Küche nicht denkbar wäre.


Polen verfügt über eine der liberalsten Gesetzgebungen in Sachen Walderzeugnisse. So ist das Pflücken von Beeren und Pilzen in öffentlichen Wäldern grundsätzlich erlaubt. Allerdings müssen sich auch Hobbysammler an bestimmte Regeln halten. So sind Naturschutzgebiete genauso tabu wie geschützte oder vom Aussterben bedrohte Pilzarten. Zudem soll man beim Pilzsammeln behutsam vorgehen, um nicht die umstehende Vegetation zu zerstören oder Tiere zu verletzen. Wer in privaten Wäldern sammeln möchte, braucht dazu die Genehmigung der Besitzer. Nicht zuletzt dieser Rechtslage hat es Polen zu verdanken, dass es sich zum europäischen Exportmeister für Pilze und Pilzerzeugnissen entwickelt hat. Neben den im Wand gesammelten Steinpilzen oder Pfifferlingen werden allerdings vor allem Zuchtchampignons das ganze Jahr über exportiert.


Die Homepage des Pilzfestivals in Węgliniec ist unter www.swietogrzybow.pl zu erreichen. Węgliniec liegt etwa 30 km nordöstlich der Grenzstadt Görlitz. Informationen über den „Drei-Fichten-Hof“ in der Rominter Heide gibt es in deutscher Sprache unter www.trzyswierki.dt.pl, über den Hof der Japanerin Miwa Akiko bei Nowy Targ unter www.akiko.pl und zum Urwald von Białowieża unter www.bialowieza-forest.com

 

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