Performances auf 26 Breslauer Brücken

Niederschlesische Metropole stimmt auf Kulturhauptstadtjahr ein.
Insgesamt 26 Brücken in Wroclaw (Breslau) verwandeln sich am 20. Juni in Kulissen für außergewöhnliche Kunstvorstellungen. Unter der Ägide des britischen Theaterregisseurs Chris Baldwin bieten einige Hundert Profikünstler und Amateure, Kinder und Erwachsene mit ihren interaktiven Aktionen einen Vorgeschmack auf das Jahr der Europäischen Kulturhauptstadt 2016. Bei der Auftaktveranstaltung sollen Einwohner und Besucher zur Teilhabe am Kulturleben animieret werden. Der Theaterkünstler rechnet mit insgesamt 150.000 Menschen, welche die niederschlesische Hauptstadt für 24 Stunden in eine einzige große Performancebühne verwandeln.


Junge Menschen zwischen sieben und 35 Jahren sind die Träger dieser einzigartigen Projektreihe, die bereits seit Januar vorbereitet wird. Ihnen wollten die Organisatoren des Kulturhauptstadtjahres eine Plattform bieten, um sich, ihre Umwelt und den öffentlichen Raum in Wroclaw künstlerisch zu betrachten und zu gestalten. Das große Finale des Projekts „Mosty“ (Brücken) findet am 20. Juni 2015 statt, an dem auch das offizielle Veranstaltungsprogramm der Europäischen Kulturhauptstadt 2016 bekanntgegeben wird. Die angekündigten Aktionen lesen sich vielversprechend. Da verwandelt sich eine Brücke in ein großes Klanginstrument, eine andere wird als Kopie verschoben, Brücken entstehen neu und werden zum Objekt einer riesigen Freilichtprojektion oder zu Upcycling-Werkstätten.

Im „Puls milosci“ (Puls der Liebe) ertönt die Brücke zur Breslauer Dominsel, der Most Tumski. Von null Uhr am 20. Juni bis zur folgenden Mitternacht können Passanten dort die multimediale Musikperformance von Piotr Lyszkiewicz und Artur Lis erleben und selbst auf einer der überdimensionalen Trommeln des Teatr Makata den Rhythmus des Herzschlags erleben, der Menschen in aller Welt über alle Grenzen hinweg vereint. Mit Klängen verbunden ist auch das Projekt an der höchstgelegenen Brücke Breslaus, der Hexenbrücke, welche die beiden Türme der Magdalenenkirche miteinander verbindet. Der 14-jährige Schüler Ignacy Pochodyla konnte den jungen Komponisten Mateusz Ryczek davon überzeugen, die Legenden um die Brücke zu vertonen und als Soundinstallation „Step by Step“ am 20. Juni im wahrsten Sinne des Wortes beschreitbar zu machen.


Einen Schwerpunkt der Performances bildet die Auseinandersetzung mit gesellschaftlich ausgegrenzten und marginalisierten Gruppen. Insbesondere Behinderte haben in Polen immer noch mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Seinen ganz persönlichen Kampf focht Lukasz Siemiez an der Fußgängerbrücke über die ul. Nabycinska aus. Das Projekt „On Off“ erzählt die Geschichte des Jungen, der seit 2007 nach einem Unfall auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Täglich übte er, die Stufen zur Brücke hinaufzukommen und dokumentierte seine Fortschritte. Bei der Aktion am 20. Juni können Besucher unter anderem selbst versuchen, in einem Rollstuhl die Brücke zu erklimmen. Eingebettet ist das Ganze in eine Performance mit Musik und mobiler Fotografie.

Thematisiert wird auch die bewegte Historie der Odermetropole. „A ten most to brama“ (Diese Brücke ist ein Tor) lautet der Titel einer Installation an der alten Wilhelmsbrücke, dem heutigen Most Mieszczanski. Gemeinsam mit dem soziokulturellen Verein Trampolina und den Bürgern der angrenzenden Stadtteile haben die Künstler Edyta Skarzynska und Dariusz Lech eine kleine Zeitreise vorbereitet. Den vier Jochen der Brücke entsprechend führen vier Stationen in die Vergangenheit. Von 1867, dem Baujahr der Brücke, über die Zwischenkriegszeit und die 1950er Jahre bis 1997, dem Baujahr der benachbarten neuen Brücke, reicht der Zyklus, der mit Originalkostümen und entsprechenden Bühnenbildern in die jeweilige Zeit entführt.

Ein Stück Vergangenheit kommt auch mit dem Projekt „Copy-Paste“ zum Publikum. Schauplatz ist die Most Zwierzyniecki, die Tiergartenbrücke über die Alte Oder am Zoologischen Garten der Stadt. Ende des 19. Jahrhunderts musste ein Vorgängerbau der heutigen Brücke weichen. In einer spektakulären Aktion wurde damals das gesamte Oberteil der alten Brücke um 30 Meter per Hand verschoben. Eine Studentengruppe der Akademie der Schönen Künste hat sich dieses Ereignis zum Vorbild genommen und wird eine eigens angefertigte Replik der Brücke in einem großen Happening mit Zwischenstationen bis zum Altstadtmarkt tragen.

Rätselhaft ist die Geschichte, die von der Kladka Kapeluszników, dem einstigen Hutmachersteg, erzählt wird. Er war eine der Brücken, die über die Schwarze Ohlau, den inneren Stadtgraben, führten. Als dieser Graben Ende des 19. Jahrhunderts endgültig zugeschüttet wurde, verschwand mit ihm auch der Hutmachersteg. Gemeinsam mit Schülern verschiedener künstlerischer Gymnasien und Hochschulen lassen die Künstlerinnen Kamila Fyda-Sikorska und Malgorzata Madej das Bauwerk an seinem einstigen Ort wieder auferstehen. Die Kreuzung der Straßen ul. Kazimierza Wielkiego, Widok und Szewska wird am 20. Juni zu einem großen Hutmacherhappening mit mobiler Brücke, verrückten Hüten, Fotosessions sowie Theater- und Musikperformances.


Informationen zum Projekt „Mosty“ und zum weiteren Programm des Jahres der Kulturhauptstadt Breslau unter www.wroclaw2016.pl

 

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